„Non aes sed fides“: Vertrauen in das Geld von der Antike bis ins 21. Jahrhundert

Organisatoren
Marco Besl / David Irion, Ludwig-Maximilians-Universität München
PLZ
80809
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
29.06.2023 - 01.07.2023
Von
Marika Csampai, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im Oktober 2023 gab die Europäische Zentralbank bekannt, mit ihrem Projekt des digitalen Euro in die Vorbereitungsphase zu gehen – laut Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde, um die Währung zukunftsfähiger zu machen und Bürger:innen den Zahlungsverkehr zu erleichtern.1 Der bis heute anhaltende historische Wandel von Geldformen verweist auf die Virulenz der Vertrauensthematik im Zusammenhang mit Geld. Genau dieser Thematik nahm sich die dreitägige Tagung „‘Non aes sed fides‘: Vertrauen in das Geld von der Antike bis ins 21. Jahrhundert“ an, die im Sommer 2023 am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität in München stattfand.

In ihrer Einführung betonten die Organisatoren MARCO BESL (München) und DAVID IRION (München) ihren Anspruch, mit der Tagung anhand unterschiedlicher Fallbeispiele eine epochen- und regionsübergreifende Analyse von Geld im Zusammenhang mit Vertrauen zu verwirklichen. Es ginge darum, verschiedenste Forschungsbereiche miteinander ins Gespräch zu bringen, in der Hoffnung, dass die Beschäftigung mit Geld als eine Art „sichtbares Vertrauen” letztlich Aufschluss über tiefer liegende Grundstrukturen von Gesellschaften und Staatlichkeit geben könne.

Es folgte die Keynote von GUIDO THIEMEYER (Düsseldorf), der auf eine diskurstheoretische Annäherung an das historisch bisweilen heikle Verhältnis von Geld und Vertrauen abzielte. Mithilfe dreier Fallbeispiele für Währungsunionen und -reformen im 19. und 20. Jahrhundert verwies Thiemeyer unter anderem auf die Möglichkeit einer Emotionsgeschichte des Geldes und auf eine Dialektik, in der Verträge (etwa Währungsunionen) stets Vertrauen sowohl voraussetzen als auch hervorbringen. In der Zusammenführung der Fallbeispiele plädierte er für einen analytisch weiten – das heißt: auch nicht-expliziten – Begriff von „Vertrauen”, für den die Frage nach Gebrauch und Konnotation differenziertere Ergebnisse in Aussicht stellt als ein Beharren auf ontologischer Definitionsarbeit.

Das erste Panel befasste sich mit Geld und Vertrauen in staatliche Akteure und Ordnungen. DAVID IRION (München) machte in preußischen geldpolitischen Diskursen der 1840er-Jahre in erster Linie politische Stellvertreterdebatten aus, in denen Vertrauensfragen besonders unter dem Legitimationsdruck des Vormärz virulent wurden. Geld war somit primär Politikum, nicht wirtschaftswissenschaftlicher Gegenstand. In einem großen zeitlichen Sprung in die griechische Antike sprach DAVID WEIDGENANNT (Wien) von der Verwendung von Bronzemünzen – insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Distanz von ihrem ursprünglichen Prägeort. Zwar hatten lokale Bronzemünzen in der Regel nur begrenzte Reichweiten und verloren mit höherer Distanz zum Emissionsort an Gebrauchswert – dies ließe sich auf einen Vertrauensverlust zurückführen. Andererseits konnte diese Skepsis durch eine etablierte Nutzungsgewohnheit gebrochen werden. Zurück in der jüngsten Geschichte analysierte GUNNAR TAKE (Stuttgart) die staatliche Instrumentalisierung der Sparkassen in der DDR. Der sozialistische Staat als Akteur bediente sich Organisationen und Institutionen wie der Sparkasse, ideologisch untermauert durch eine Interpretation von Sparsamkeit als Tugend, um in der Bevölkerung Vertrauen in sein Geld – dies wiederum stets soziales Konstrukt – zu generieren.

Das zweite Panel rückte Geld im Zusammenhang mit machtdurchdrungenen Sozialbeziehungen in den Fokus. HENRY HEITMANN-GORDON (München) beschäftigte sich mit den philoi, den Königsfreunden am hellenistischen Hof. Geld war in ihrem Fall relationales und diskursives Gut, über das Eliten-Zugehörigkeiten ausgehandelt werden konnten. Eine grundsätzliche Quantifizierung von Beziehungen, ihre direkte Übersetzung in Geld wäre hier allerdings zu kurz gedacht – vielmehr erfüllte Geld, je nach Situation zur Sprache gebracht oder verschwiegen, eine semiotische Funktion. Soziale Beziehungen bildeten auch den Kern der Präsentation von CHRISTOPHER DECKER (Heidelberg), der Gelddiskurse im antiken Rom – um Senatoren auf der einen und Freigelassene auf der anderen Seite – miteinander kontrastierte. Freigelassene mit neu erlangtem Reichtum ließen die etablierte soziale Ordnung bröckeln, da Reichtum und sozialer Status in der römischen Gesellschaft stets aufs Engste miteinander verknüpft waren. Rom war erneut Schauplatz im Beitrag von CORNELIA BÄURLE (München/Rom), die das Panel schloss und mit frühneuzeitlichen Kurtisanen eine für das übergeordnete Tagungsthema wichtige weibliche Akteur:innengruppe in den Blick nahm. Ihnen war es zum Teil möglich, einerseits große Reichtümer zu akkumulieren, andererseits lange und dauerhafte – gewissermaßen also vertrauensvolle – Beziehungen aufzubauen. Unter Umständen wurde ihnen zudem „Ehrbarkeit“ (honestas) zugeschrieben. Ihre sexuellen Dienste gegen Geld gingen also nicht notwendigerweise mit sozialem Stigma einher.

UTA KLEINE (Hamburg) sprach in ihrem Vortrag über mittelalterliche Geld- und Heilsdiskurse, etwa der Verschränkung von Sakralem und Säkularem im Phänomen des Ablasshandels. Im Allgemeinen stand irdischer Reichtum in einem Komplementärverhältnis zum jenseitigen seelischen Reichtum: Eine heilsökonomische „Ethik der Verausgabung” forderte die Weggabe von vergänglichem Besitz zugunsten des ewigen Seelenheils nach dem Tod. Selbst begriffsgeschichtlich sind solche Verschränkungen zu beobachten, etwa im Wort solvere mit seinen sowohl rechnerischen als auch religiösen Konnotationen. Unter theoretischem Rückgriff auf Max Weber und Pierre Bourdieu konstatierte Kleine so für die Vormoderne die diskursive Anwesenheit einer – halb-weltlichen, halb-metaphysischen – Wirtschaftsethik – bereits vor einer Kollektivsingularisierung von „der” Wirtschaft im koselleckschen Sinn.

Semantiken und Symbole standen im Zentrum des dritten Panels, das mit dem Vortrag von MARCO BESL (München) eröffnet wurde. Antike Münzen mit Kaiserdarstellungen waren stets deutungsoffen und ihre Bilder ambivalent – deshalb konnten sie im Kontext theologischer Kontroversen instrumentalisiert werden. Materielle Objekte wie Münzen konnten so im Rahmen von Glaubensdiskussionen von verschiedensten religiösen Akteuren interpretativ angeeignet werden. JEHAN HILLEN (Nijmegen) wählte die theoretische Rahmung des Audience Targeting für seine Analyse von römischen Münzen als visuelles Massenmedium und Vehikel imperialer Kommunikation, dessen intendiertes Publikum sich je nach Kaiserdarstellung – mal Soldat, mal Konsul – unterschied. LEONARD HORSCH (München) befasste sich schließlich mit dem venezianischen Adeligen Ludovico Foscarini und seinen semantischen Strategien zur Vermögensverschleierung. Dazu nutzte er etwa bewusst seine juristische Expertise, die über die bloß laienjuristischen Kenntnisse der übrigen venezianischen Adeligen hinausging.

Das vierte und letzte Panel thematisierte schließlich Geld und zwischenmenschliche Beziehungen. Zunächst sprach MORITZ HINSCH (München) über Geld und Vertrauen in den Komödien des Plautus, die als eine Art popkultureller Beitrag eine äußerst aufschlussreiche Quelle zum Verständnis von Geld als soziales Gut in der Antike seien, inszenierten sie doch stets zeitgenössische Moralvorstellungen. In den Komödien beobachtete Hinsch so eine Reihe von Topoi wie Handelsfahrten und Altherren-Verschwörungen, in denen Geldübermittlungen eine zentrale Rolle spielten. In der weiterführenden Analyse erwies sich Geld zudem als Stabilisator für etablierte Standesstrukturen beziehungsweise im Umkehrschluss als Mittel zur Exklusion Marginalisierter. Einen dezidiert von Bourdieu inspirierten, idealtypisch-praxeologischen Zugang wählte schließlich STEPHAN RINDLISBACHER (Frankfurt an der Oder) für seine Analyse. Ihn interessierte das russische Konzept blat – eine Art informelles Versorgungs- und Gefälligkeitssystem basierend auf gegenseitigem Vertrauen – als soziale und kulturelle Kapitalform in der Sowjetgesellschaft. Sein Blick richtete sich auf Grauzonen der Legalität, etwa Schwarzmärkte – solchen netzwerkhaften Strukturen, so Rindlisbacher, sei mehr Vertrauen entgegengebracht worden als offiziellen staatlichen und juristischen Strukturen. Mit dem Beitrag von PAI-LI LIU (München) erhielt die Tagung zuletzt noch eine geographische Öffnung hin zum globalen Süden. Liu zeichnete nach, wie der Modernisierungsansatz in der Entwicklungshilfe in den 1970er-Jahren zunehmend infrage gestellt und Kleinbauern als ökonomische Akteure zugleich zunehmend ernst genommen wurden. Das Vertrauen in die Kleinbauern als Unternehmer war getragen von der Hoffnung, im ländlichen Raum die Bildung von Kapitalkreisläufen zu gewährleisten. Eine besonders aufschlussreiche kritische Diskussion dieses Modells als eine – sozusagen „schon wieder” – westliche Erfindung und letztlich eurozentristische Strategie schloss sich dem Vortrag an.

In der abschließenden Diskussion wurden prinzipielle theoretische Annahmen über Geld und Vertrauen als Konzepte herausdestilliert und bekräftigt. Beiden Begriffen ist eine grundlegende Offenheit und Potentialität zu attestieren: So war Vertrauen nie problemlos extern nachweis- oder quantifizierbar und ebenso Geld mitunter ein leerer Signifikant, der über die Epochen hinweg immer wieder neu – und dabei immer auch normativ – gefüllt und aufgeladen wurde. Die weisende Stoßrichtung für eine ernsthafte historiographische Beschäftigung mit Geld und Vertrauen hat diese Tagung also erfolgreich benannt: gegen jegliche Naturalisierungen, Ahistorizitäten und Entpolitisierungen und für ein Bewusstsein von sowohl Geld als auch Vertrauen als stets sozial, relational, historisch kontingent und politisch. Besonders hervorzuheben ist am Ende der epochenübergreifende Ansatz der Tagung, der für alle beteiligten Disziplinen neue fruchtbare Perspektiven eröffnete.

Konferenzübersicht:

Marco Besl (München) / David Irion (München): Begrüßung und inhaltliche Einführung

Guido Thiemeyer (Düsseldorf): Keynote: Vertrauen und Geld. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven auf ein schwieriges Verhältnis

Panel 1: Materialisierter Legitimitätsglauben: Geld als Form und Ausdruck des Vertrauens in die staatliche Ordnung

David Weidgenannt (Wien): Bronzegeld in der griechischen Antike: Vertrauen und frühe Staatlichkeit

David Irion (München): Vertrauensfrage im Vormärz. Die geldpolitische Debatte Preußens in transnationaler Perspektive

Gunnar Take (Stuttgart): Die Mark der DDR: Sparkassen als vertrauensbildende Akteure im Sozialismus

Panel 2: Ambivalente Attraktivität des Geldes: Monetäre Macht und sozialer Status

Henry Heitmann-Gordon (München): Hellenistische Königsfreunde und das Geld: Eine zwiespältige Beziehung

Christopher Decker (Heidelberg): In Purpur gekleidete Narren? Ambivalenzen in der Bewertung von Reichtum bei Senatoren und Freigelassenen im 1. Jahrhundert n. Chr.

Cornelia Bäurle (München/Rom): Käufliche Liebe? Die „Ehrbarkeit“ der römischen Kurtisanen im 16. Jahrhundert

Uta Kleine (Hamburg): Sacrum commercium: Zur Verschränkung von Gelddiskurs und Heilsdiskurs im Mittelalter

Panel 3: Geld jenseits ökonomischer Diskurse: Semantiken und Symbolkraft monetärer Werte

Marco Besl (München): Mehr als nur „Bild und Aufschrift“ des Kaisers (Mk 12, 16): Christliche Deutungen kaiserlicher Münzbilder

Jehan Hillen (Nijmegen): Targeting Audiences on Late Roman and Early Byzantine Coins

Leonard Horsch (München): Die schuldrechtliche Wahrnehmung von Beziehungen in Briefen venezianischer Adeliger des Quattrocento

Panel 4: Konkurrierende Vertrauensverhältnisse: Geldgeschäfte und zwischenmenschliche Beziehungen

Moritz Hinsch (München): Vertrauen in Geld bei Plautus: Die duale Ökonomie von Kredit und Bargeld in der römischen Republik (220–180 v. Chr.)

Stephan Rindlisbacher (Frankfurt an der Oder): Ein Tauschmittel unter anderen? Geld in der Sowjetgesellschaft (1960–1982)

Pai-Li Liu (München): Zu viel Vertrauen in das Geld? Kleinkredit als Instrument der Armutsbekämpfung in internationaler Entwicklungsarbeit in den 1970er- und 1980er-Jahren

Fazit und abschließende Diskussion

Anmerkung:
1 Christian Siedenbiedel, Die EZB macht mit dem digitalen Euro ernst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2023, https://www.faz.net/-gv6-bgmpv (06.11.2023).